Ungewöhnlich und imperfekt
Wer im Handarbeitsunterricht wegen eines kleinen Fehlers alles gnadenlos wieder aufribbeln musste, hatte vielleicht keinen Spaß mehr am Handarbeiten. In unserem Projekt muss nichts und niemand perfekt sein.
Vielfalt, Selbermachen, Einfallsreichtum und Zusammenarbeit sind gefragt. Eine Luftmaschenkette kann sehr schön sein – und fast ins Unendliche wachsen. Wer nicht häkeln oder stricken kann oder mag, wickelt eben Pompons oder dreht Kordeln oder schreibt Gedichte dazu. So, wie jeder gestrickt ist. Schiefe Kanten und Löcher machen das Ganze erst interessant und persönlich. Original handgemacht eben. Und immer etwas anders, als gedacht. Nobody is perfect. Genau!
Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch Freude hätten an sagenhaft exakten Arbeiten, komplizierten Mustern und wunderbaren Techniken, an Fingerfertigkeit und Erfahrung. Darf auch sein.
Wolle verbindet
Wolle ist unser Material. Sie wärmt und ist weich. Ihre Fäden und Fasern sind endlos. Wolle kann umgarnen und bekleiden, ist flexibel und anpassungsfähig, in allen möglichen Formen und Farben. Aus einem Faden entsteht eine Masche, aus vielen Maschen ein Gewebe. Nähte verbinden Teile zu einem Ganzen.
Handarbeit
Handarbeit ist persönlich. Handarbeit braucht Zeit, ist meditativ. In ihr steckt oft etwas Fürsorgliches. Handarbeit fördert Versunkenheit, aber sie erleichtert auch Gespräche, wenn man sie gemeinsam macht. Besonders Frauen tun das. Stricktechniken sind kulturell unterschiedlich und individuell, ebenso wie Menschen. Das deutet die Redewendung „so wie ich gestrickt bin“ an.
Stricken und Häkeln haben nichts mit behindert oder nichtbehindert zu tun. Gestrickt und gehäkelt wird in allen Altersgruppen. Menschen, die handarbeiten, finden sich in sozialen und diakonischen Einrichtungen. Für Menschen mit eingeschränkter Mobilität und wenig sozialen Kontakten ist die Handarbeit eine Möglichkeit, sich autonom zu betätigen. Manche Handarbeiten entstehen am oder im Krankenbett, wo Zeit, Geduld und Ruhe gefragt sind. Handarbeit braucht Zeit, darum kann sie auch entschleunigen. Und viele Menschen haben Zeit. Gerade die, die von Aussonderung und Isolation bedroht sind, wie zum Beispiel alte Menschen.
Handarbeit im Leben
In diesem Projekt fragen wir auch danach, welche Bedeutung Handarbeit für Menschen in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen hat oder gehabt hat. Also: „Was verbinden Sie damit? Welche Erinnerungen und Erfahrungen knüpfen sich für Sie daran an? Gibt es besondere Personen, an die Sie dabei denken?“
Von drinnen nach draußen
Handarbeit ist ein gern belächeltes häusliches Handwerk, das seinen ursprünglichen Ort im Privaten hat, um Kleidung oder Wohnräume zu gestalten. Obwohl immer noch als typisch biedere Frauenarbeit entwertet, gewinnt sie im Moment wieder an Aktualität. Jugendliche häkeln begeistert Mützen, Mädchen wie Jungen. Häkel- und Strickobjekte sind wieder in Mode. Neuerdings wandern sie nach draußen und bekleiden überraschend den öffentlichen Raum.
In vielen Städten beteiligen sich Menschen an der Urban-Knitting-Bewegung. Internationaler Straßenstrick ist als eine Variante von Street-Art entstanden. Umhäkelte Straßenschilder, Brückengeländer, Handläufe, Türklinken werden immer mehr. Und es häufen sich Ausstellungen in Kunstmuseen, die textiles Material als Thema künstlerischen Arbeitens aufnehmen und darstellen (z.B. 2014 in Bielefeld und Wolfsburg).
Den Faden aufnehmen
Aus dem Bereich der Handarbeiten stammen überraschend viele sprachliche Bilder, die von existentiellen Lebenserfahrungen sprechen: Wir verlieren den Faden oder wir nehmen einen Faden wieder auf. Wir spinnen. Verwirrung gehört zu unserem Denken, jemand ist bestrickend, wir entwickeln uns.
In der Bibel ist davon die Rede, dass wir in Gott „leben und weben“ (Apostelgeschichte 17, 28). Und auch die genussvolle Seite der Arbeit mit eigenen Händen kommt zur Sprache: „Sie geht mit Wolle und Flachs um. Voll Vergnügen arbeiten ihre Hände.“ (Sprüche 31, 13) – Mehr zum Thema Handarbeit finden Sie in unseren Begleitheften.